Bericht: Diskussion Vergesellschaftung im Grundgesetz vom 20.10.2022

Am 20.10.2022 haben wir Prof. Dr. Pia Lange von der Universität Bremen nach Hamburg eingeladen unter dem Titel „Vergesellschaftung – ist das erlaubt?“ mit etwa 40 Gästen aus dem juristischen Fachbereich aber auch anderen Interessierten diskutiert.

Prof. Dr. Lange hat uns die historische Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes erläutert und die wirtschaftspolitische Neutralität, welche das Grundgesetz unter anderem durch Art. 15 GG zum Ausdruck gebracht wird. Somit schreibt das Grundgesetz keine Wirtschaftsordnung vor.

Der Artikel 15 GG wurde noch nie in der Bundesrepublik angewendet. Daher ist die richtige Anwendung für die Praxis hoch umstritten. Da Art. 15 GG jedoch die Vergesellschaftung von Grund und Boden sowie Produktionsmitteln vorsieht, findet er grundsätzlich Anwendung auf Wohnungskonzerne, denn im juristischen Kontext bedeutet Grund und Boden stets auch das sogenannte Zubehör, also alles, was mit dem Grund und Boden fest verbunden ist (§ 94 BGB). Wohnungskonzerne können darüber hinaus auch unter Produktionsmittel gefasst werden, denn in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften werden Produktionsmittel als Objekte, Programme oder Institutionen gesehen, die Mehrwert schaffen. Dies tun Wohnungskonzerne ebenfalls.

Umstritten ist in der juristischen Fachliteratur, ob die Vergesellschaftung gegenüber den Eigentümer*innen der Wohnungen verhältnismäßig sein muss. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde in den 50er und 60er Jahren entwickelt, um Eingriffe des Staates möglichst grundrechtsschonend zu halten. Dieser Grundsatz wurde in der Praxis vom Bundesverfassungsgericht entwickelt und findet keine Verankerung im Grundgesetz – er ist quasi ausgedacht. Fraglich ist, ob dieser Grundsatz Anwendung auf Art. 15 GG findet, denn Art. 15 GG hat eine besondere Struktur im Gegensatz zu allen anderen Grundrechten. Während staatliche Maßnahmen stets einem legitimen Zweck und ein legitimes Mittel aufweisen müssen, um in Grundrechte eingreifen zu dürfen, stellt Art. 15 GG selber sowohl Zweck und Mittel dar. Zweck der Vergesellschaftung ist die Vergesellschaftung, Mittel der Vergesellschaftung ist die Vergesellschaftung – einen Spielraum lässt der Art. 15 GG nicht zu. Die zusätzliche Bestimmung von legitimen Zweck, zum Beispiel als mietenpolitische Maßnahme scheint daher obsolet.

Doch auch unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips scheint die Vergesellschaftung das effektivste und grundrechtsschonende Mittel, denn andere wohnungspolitischen Maßnahmen wie der Mietenspiegel oder der Drittelmix sind gescheitert. Selbstverständlich könnte der Staat 500 Millionen Euro in die Hand nehmen und Wohnungen kaufen, aber dies müsste auf jeden Steuerzahler umgeschlagen werden und somit zu unverhältnismäßiger Belastung der Steuerzahlenden führen.

Die wohl strittigste Frage ist die Höhe der Entschädigung. Artikel 14 III S. 3 GG, der gemäß Art. 15 GG eine entsprechende Anwendung findet, sieht vor, dass die Höhe der Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen zu bestimmen ist. Den Verkehrswert der Immobilie anzusetzen stellt die maximale Höhe der Entschädigung dar und lässt keine Abwägung erkennen. Eine symbolische Entschädigung von 1 Euro scheint wiederum den Interessen der Eigentümer*innen nicht erkennen. Überzeugend scheint eine individuelle Lösung für jede Immobilie unter Berücksichtigung, ob die Wertsteigerung durch eigene Leistung, zum Beispiel durch Sanierung, oder durch Steigerung der Bodenpreise entstanden ist.

Vergesellschaftung ist somit verfassungsrechtlich zulässig. Politische Kräfte, die beharrlich versuchen, die Existenz von Art. 15 GG zu leugnen, sollten sich endlich mit der Realität der Geltung der Verfassung und der Grundrechte abfinden. Wir fordern die politischen Kräfte auf, nicht weiter über das „ob“ zu diskutieren, sondern über das „wie“ zu sprechen und gemeinsam Lösungen und Strategien über die praktische Umsetzung der Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen zu erarbeiten.


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